Co-Leadership – ein stärkenorientiertes Führungsmodell

Lars Bohlmann Geschäftsführung Hettich

"Wir arbeiten Stärken und Themen orientiert"

Hettich, ansässig in Kirchlengern in Deutschland, produziert Möbelbeschläge und  intelligente Lösungen für Möbelsysteme. Der Konzern mit über 8.000 Mitarbeitenden ist federführend in seinem Bereich, in Technik für Möbel Entwicklungen.

Aber auch in der Umsetzung von innovativen Personalentwicklungsmethoden, Arbeitsmodellen und Unternehmenskulturprozessen.  

 

Wie sieht der Geschäftsführer der Zukunft aus?

Wir haben den Co-Geschäftsführer der Hettich Management Service GmbH in Deutschland Lars Bohlmann zum Interview eingeladen, um mit ihm über seine Erfahrungen im Topsharing und die Arbeitsmodelle im Unternehmen zu sprechen.

Lars hat schon seine Ausbildung im Jahr 2000 als Industriekaufmann bei Hettich gemacht. Nach seinem Studium für Wirtschaftsrecht und diversen anderen Tätigkeiten kehrte er 2012 wieder zum Unternehmen zurück. Er arbeitete dort in unterschiedlichsten Funktionen im Personalmanagement und übernahm 2018 die Verantwortung für das HR Netzwerk. Kurz vor Ausbruch der Corona Pandemie 2020 bewarb er sich auf die Geschäftsführung der Service Gesellschaft mit Standorten in Deutschland und Indien. Der Umfang dieser Tätigkeit ist unheimlich vielfältig und beinhaltet eine Vielzahl an Abteilungen.

Das spannende hierbei war, dass die Mitarbeiter das Rollenprofil ihres „perfekten Geschäftsführers“ mit definieren konnten, und sich ihren eigenen Geschäftsführer der Zukunft mehr oder weniger mit aussuchen konnten.

Stärken verteilen und mehr Raum für deren Einsatz finden

Lars bewarb sich gemeinsam mit dem Geschäftsführer der tschechischen Einheit auf die Rolle. Lars und André Eckholt kannten sich aus diversen gemeinsamen Projekten im Konzern, und bewarben sich tatsächlich als eine Person auf die Stelle, da beide ihre jeweiligen ursprünglichen Aufgaben und spannenden Themen trotzdem behalten wollten. Somit brachte der André das technische und kaufmännische Know How aus seiner Erfahrung mit ein und Lars selbst hatte seine Schwerpunkte in wirtschaftlichen Belangen und in der HR.

Doch wie funktionierte diese Zusammenarbeit und welche Learnings hat Lars bis dato daraus gezogen?

 

Hallo Lars, schön, dass du heute über deine Erfahrungen als  Co-Geschäftsführer bei Hettich sprichst. Du hast erzählt, dass ihr Euch beide gemeinsam um die Geschäftsführung der Service Gesellschaft beworben hattet, und trotzdem Eure vorherigen Jobs als HR Leiter respektive tschechischer Geschäftsführer nicht aufgeben wolltet. Wie ist das damals abgelaufen?

Lars: Als wir die Position damals wirklich bekommen haben, wollte André ursprünglich alle paar Wochen in Deutschland mit mir gemeinsam arbeiten, doch dann kam auf einmal Corona daher. Wir mussten die Gesellschaft also tatsächlich zwei Jahre lang virtuell zusammen führen. Das ist uns auch wirklich sehr gut gelungen. Aufgrund der Aufteilung der Arbeitsbereiche konnte ich daneben meine wesentlichen Aufgaben aus dem HR Netzwerk weiter bearbeiten – und André seine Aufgaben in Tschechien.

Allerdings haben André und ich uns schon länger aus der Firma gekannt. Wir haben unsere gemeinsame Bewerbung tatsächlich bei Bier und Pizza besprochen und gemeint, dass wir zu zweit bestimmt gut arbeiten könnten. Daraufhin nahm das Schicksal seinen Lauf.

Heute ist André allerdings zu Oliver Bestmann geworden, denn André wurde als Geschäftsführer für die indische Gesellschaft berufen, und ich musste mir einen neuen Partner suchen.

Das klingt alles sehr aufregend. Wie hast du dich dann mit Oliver zusammengefunden?

Lars: Wir fanden grundsätzlich, dass Co-Leadership in der Rolle einfach Sinn machte, weil wir festgestellt haben, dass wir unsere Stärken wirklich gut einsetzen konnten und uns das auch Raum gab, eben diese Stärken noch in anderen Bereichen sinnvoll einzusetzen.

Also fand ich meinen zweiten Partner in Oliver. Oliver war seit 2016 Trainee im technischen Bereich, in der Führung im Produktmanagement sowie im Projektmanagement und der Geschäftsführungsassistenz tätig. Die Rolle des Geschäftsführers war neu für ihn –aber er ist gemeinsam mit mir da hineingewachsen. Nachdem wir uns nicht so gut kannten wie André und ich, mussten wir zuerst auch erstmal die gemeinsame Wertebasis checken und überlegen, wem was wichtig ist.

Oliver ist noch zusätzlich in Indien als Geschäftsführer tätig, und ich bin danach noch Geschäftsführer einer Gesellschaft für Aus-und Weiterbildung unserer Azubis (Lehrlinge) geworden. Wir wollen die Azubis in die Steuerung des Unternehmens mit einbinden und ihnen im Rahmen ihrer Ausbildung auch Kompetenzen in unternehmerischen Belangen vermitteln – dieses Projekt führe ich nun neben der Service Gesellschaft noch mit.

Das HR Netzwerk ist in die Services der Gesellschaft hineingewachsen und meine dortigen Aufgaben wurde von den Kolleg*innen und Führungskräften übernommen.

Was gefällt dir denn am Co-Leadership am besten?

Lars: In diesem Modell hast du einfach immer jemanden, der dir auf Augenhöhe Feedback gibt. Gerade in der Geschäftsführung ist das ehrliche, offene Feedback schon mal Mangelware. Außerdem habe ich die Möglichkeit viel mehr in meinen Stärken zu arbeiten, als Dinge mitmachen zu müssen, die mir nicht so sehr liegen.

Wir teilen uns das sehr individuell auf. Ich könnte als Alleinverantwortlicher für die Service GmbH die Weiterbildungsgesellschaft sicher nicht mehr mit betreuen. Ich könnte bei der Digitalisierungsinitative, in der ich mitarbeite, nicht mitmachen und so weiter.

André und ich sind damals für die geteilte Rolle angetreten, weil wir dachten, dass wir uns optimal ergänzen. Jeder kann seine Fähigkeiten bestmöglich für die Geschäftsführung einsetzen und nebenbei aber noch andere Dinge gestalten, in der wir auch stark sind.

Wenn man gut zusammenpasst, dann klappt das auch wunderbar.

Wie geht Ihr mit Eurem Umfeld um und vice versa? Wie ist bei Euch die Führung sonst strukturiert? Wie habt Ihr Euch eingeteilt?

Lars: Wir sind zu zweit verantwortlich für die Service GmbH, und Bereichsleiter kümmern sich um die Fachbereiche.

Wir haben sogenannte „Quartals-Sprints“, wo wir gemeinsam die strategischen Dinge abklären und entwickeln. Dann haben wir noch große Strategiemeetings, die wir auch gemeinsam gestalten. Ansonsten haben wir uns Bereiche aufgeteilt, wo die Kolleg*innen ihren jeweiligen Ansprechpartner haben. Natürlich sind wir aber immer beide erreichbar, wenn Unterstützung nötig ist.

Wir fragen die Bereiche auch, was sie zur erfolgreichen Arbeit brauchen. Das ist je nach Verantwortlichen unterschiedlich.

Außerdem gibt es noch unsere „Boxenstopps“. Das sind Reflexionsgespräche zur Zusammenarbeit mit unseren Kolleg*innen, den Führungskräften. Das machen wir immer gemeinsam.

Da stellen wir die Fragen:

  • Was ist gut?
  • Wie nehmt Ihr uns als Duo wahr?
  • Was soll weiter geführt werden, was anders gemacht werden?
  • Was braucht Ihr um gut arbeiten zu können?

Wie funktionieren die persönlichen Entwicklungsgespräche mit den Bereichsleitern?

Lars: Das findet innerhalb der oben genannten Boxenstopps statt. Hier besprechen wir alle persönlichen Themen uns als Tandem, aber auch der Führungskraft gegenüber. Wir reflektieren gemeinsam, wie wir weiter arbeiten wollen.

Seid Ihr bei kritischen Gesprächen auch zu zweit? Da gibt es schon einige Vorbehalte, dass zwei Personen den Kollegen kritisieren, und dass das dann sehr unangenehm für diese Person sein könnte?

Lars: Wir bemühen uns jeden Tag um eine gute Vertrauensbasis, da bin ich überzeugt, dass das auch so angenommen und verstanden wird. Meiner persönlichen Wahrnehmung nach ist es immer gleich unangenehm, wenn eine Situation nun mal unangenehm ist – das hängt aber nicht davon ab, dass das Gegenüber zu zweit ist.

Ihr habt auch Bereichsleiter im Co-Lead, wie sprecht ihr da miteinander?

Lars: In den Boxenstopps sprechen wir tatsächlich zu viert. Ansonsten bin ich mit meinen Schwerpunkten für die Co-Leads erster Ansprechpartner und Oliver für seine. Das klappt aber sehr gut.

Wie differenzierst du die Entwicklung der Einzelpersonen im Jobsharing? Vielleicht performen die Twins unterschiedlich gut? Wie entwickelst du die Individuen separat?

Lars: Wir machen diese Gespräche normalerweise gemeinsam mit dem Jobsharing Team, manchmal gibt es aber durchaus auch 1:1 Gespräche mit den Einzelpersonen, als „Deep Dive“. Wir wollen schon besprechen, wie man sich als Person entwickelt. Das kommunizieren wir auch an die Kolleg:innen so.

Wir haben oft unterschiedlichen Konstellationen in den Jobsharings, mit unterschiedlichen Erfahrungen usw.

Wichtig ist, dass man sich grundsätzlich auf diese Art zu arbeiten einlässt und die persönliche Ebene passt. Vertrauen ist das Wichtigste in diesem Modell.

Wie funktioniert also die Zusammenarbeit bei Euch Co-Geschäftsführern genau?

Lars: Als ich damals mit André gestartet bin, hatte er die langjährige Erfahrung in der Geschäftsführertätigkeit, und ich war dort quasi neu. Mit Oliver war es dann genau anders herum. Da war ich auf einmal der Erfahrenere und er derjenige, für den das komplett neu war. Man profitiert dann eben von der Erfahrung des anderen. Man muss viel miteinander sprechen, was jeder persönlich braucht. Im Jobsharing arbeitet entwickelt man sich täglich persönlich mit dem anderen weiter, weil das Gegenüber einem ständiges konstantes Feedback gibt. Wenn man für diese Form der Zusammenarbeit offen ist, wird das sehr konstruktiv und produktiv.

Ist Co-Leadership agil genug in den Entscheidungsprozessen? Kann nicht eine Person besser die Richtung vorgeben-  orientieren sich die Menschen sich nicht lieber an einem Leader als auf einmal an zwei? Was meinst du dazu?

Lars: Wir möchten Entscheidungen in die breite Masse kriegen. Da, wo die Kompetenz ist. Niemand kann mehr alles wissen heutzutage. Die Management Philosophie muss sich grundsätzlich dahingehend ändern.

Ich als Leader muss wissen, wo will ich eingebunden sein – und was überlasse ich meinen Kolleg*innen.

Zum Beispiel haben wir während der Corona Zeit erstmal mit bis zu 40% Umsatzeinbrüchen gekämpft. Da haben wir uns bewusst entschieden auf die kollektive Intelligenz von unseren Kolleg*innen zu setzen. Wir haben die Menschen befähigt, Entscheidungen selbst zu treffen. Aber man muss trotzdem kommunizieren, dass das Management da ist, wenn es gebraucht wird. Ansonsten sollen die Personen, die das Wissen und die Kompetenz haben, auch machen dürfen.

Ihr lebt das Jobsharing bzw. Topsharing ja nun schon länger im Unternehmen. Mittlerweile werden Jobs schon gängig im Jobsharing ausgeschrieben – intern wie auch extern. Wie finden die Twins sich bei Euch?

Lars: Mittlerweile ist das Konzept bei uns schon bekannt. Es bewerben sich nun auch aktiv bereits Teams auf die Stellen. Die kommen aber tatsächlich noch aus unseren internen Reihen.

Für externe Kandidat:innen – bereits im Team oder nur eine Person als Ergänzung für eine bereits beschäftigte Person – haben wir noch keinen klaren Prozess entworfen. Da sind wir noch in einem Lernprozess und haben noch nicht so viel Erfahrung wie in den internen Abläufen.

Man muss insgesamt Akzeptanz für das Konzept schaffen, aber die Organisation lernt viel daraus. Dann kann man das auch nach extern tragen.

 

Lars, vielen Dank für die tollen Einblicke in Eure Prozesse und deine Erfahrungen mit dem Modell!

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